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7. Ent-schlüsseln statt Ur-teilen
Bei obigem Beispiel mit den Extremsituationen scheint es auf der Hand zu liegen, was die bereichernde Seite ausmacht, nämlich menschliche Nähe, die umso authentischer wird, je extremer die Situation ist. Die Frage danach, warum man dann in der Regel nicht für immer leben will unter diesen Gegebenheiten, ist in diesem Fall auch einfach zu beantworten: Es fehlen entscheidende Zutaten zu dem ‘guten Leben’, um das es immer wieder geht. Ein kurzer Blick auf das Kapitel ‘Das gute Leben’ unter dem Menüpunkt ‘WAS für ein Projekt?’ dürfte das schnell erklären. Immer das ‘gute Leben’ anzustreben, ist nicht nur eine Antreibskraft des Menschen. Auch Tiere und Pflanzen haben das gleiche Bestreben. “Wo der Zaun am niedrigsten ist, springt jeder über”.
Doch warum zum Beispiel horten viele Menschen in der modernen Zivilisation bei einer großen kollektiven Krise zuallererst Toilettenpapier? Ist das nicht interessant? Das könnte z.B. eine so typische Aufgabe des DUHB (Dep. for Decoding of unreasonable human Behavior) sein, die Faktoren zu Entstehung dieses merkwürdigen und völlig unvernünftig erscheinenenden Verhaltens zu erforschen. Sogar die herkömmliche Verhaltensforschung hat sich in Zusammenhang mit der Corona-Krise mit diesem ungewöhnlichen Phänomen befasst. Doch wurden dort sehr wichtige Aspekte übersehen, z.B. die des anerzogenen Ekels vor den eigenen Fäkalien. Lieber riskiert der moderne Mensch den Hungertod, als sich den Hintern mit der Hand und Wasser reinigen zu müssen, auch wenn der Homo Sapiens dies die längste Zeit seines Daseins so gemacht hat, zumindest wenn seine Fäkalie nicht mehr die Konsistenz hat, die eine gesunde Darmflora produziert. Dann braucht es nämlich nicht mal mehr eine Hand. Denn man wird ja auch nicht mit Klopapier geboren, genauso wenig wie mit einer Zahnbürste, die man genauso irgendwann einmal einer Entschlüsselung unterziehen könnte. Entschlüsselung ist nun nicht einfach nur nur ein Steckenpferd des Spaßes wegen. Solch ein Aspekt des anerzogenen Ekels ist nicht zu unterschätzen. Zu erwarten, dass die Teilnehmer dieses Experiments wegen der Vicinity-Regel vom ersten Tag an sich das Hinterteil nur mit der Hand un Wasser reinigen, wäre vielleicht ein zu großer Schritt. Zu tief sitzt der anerzogene Ekel vor den eigenen Ausscheidungen. Das passt auch zu der generellen Angst vor der Körperlichkeit. Nicht, dass deshalb nun lokale Bio-Toilettenpapierfabrik für das Proejkt mit eingeplant werden sollte. Das wäre natürlich die typische Daniel-Düsentrieb-Lösung in den modernen Zeiten. Doch um hier nun keinen Teilnehmer unnötig zu überfordern mit zu hastigen Schritten, würde es hier dann erstmal darum gehen, vielleicht eine für die jeweilige klimatische Zone geeignete Pflanzen- oder Baumart zu finden, die mit ihren samtigen Blättern einen natürlichen Ersatz für das Toilettenpapier anbieten könnte. Damit wären die Anforderungen der Vicinity Regel erfüllt. Soweit ein kurzer Einblick in die Arbeit des DUHB. Nebenbei bemerkt, würde sich keinerlei Fabrik unter den gegebenen Bedingungen rentieren, da ein Massenabsatz ausgeschlossen ist. Das Problem der Marx´schen Entfremdung samt tausend anderer schädlicher Nebenwirkungen der industriellen Produktion sind damit auch gleichzeitg gelöst.
Warum gibt es Staubsauger, und warum erfordert selbst ein mit den modernsten Geräten ausgerüsteter Haushalt der Zivilisation wesentlich mehr Zeit als jeder Haushalt eines Naturvolkes, ohne dass dieser dadurch unhygienischer oder unaufgeräumter sein muss?
Die kurze Antwort lautet verschlossene Oberflächen, auf der sich ständig sichtbare Unmengen von Staub sammeln können. Staub ist auch reichlich vorhanden in jedem geschlossenen Raum eines Naturvolkes. Doch wird dieser z.B. auf einem Lehm- oder Bambusfußboden nicht so wahrgenommen wie z.B. auf einem glatten Fliesen- oder einem versiegelten Parkettfußboden. Das Phänomen der sog. Staubmäuse ist übrigens auch nur bekannt bei verschlossenen Fußbodenoberflächen. Ebenso befindet sich in der Regel eine viel geringere Anzahl von Gegenständen in den Räumen, wie z.B. Schränke, Kommoden, Regale und alle möglichen anderen Möbelteile, von den ganzen dekorativen Nippes mal ganz abgesehen. Wenn dann noch die vielfache Größe im Vergleich zum primitiven Haushalt dazu kommt, steigt das bereits viel höhere Arbeitspensum nochmals um einiges. Dieser Einsatz wird geleistet, um den allgemeinen Ansprüchen von Sauberkeit und
Ordnung zu genügen, mit dem Resultat, einen scheinbaren staub- und keimfreien Haushalt zu haben. Doch der Schein trügt. Denn die meisten modernen Baumaterialien, Möbel und Gebrauchsgegenstände enthalten so viele giftige chemische Substanzen, dass Baubiologen heute von einem gefährlichen Cocktail an Wohngiften sprechen, die u.a. Allergien erzeugen. Die sog. Keimfreiheit eines Haushalts schwächt die Widerstandskraft eines menschlichen Organismus´, haben inzwischen sogar die hysterischsten Hygieneexperten herausgefunden.
Die Empfehlung des DUHB an die Bauleute müsste daher lauten, so wenig verschlossene Oberflächen wie möglich zu erzeugen, was im Übrigen für die atmungsaktive ‚dritte Haut‘ sorgt, gegenüber dem modernen ‚Wohnen in der Plastiktüte‘, im besten Fall ausgestattet mit elektronischer Entlüftung. Nicht einmal die Dachhaut muss hermetisch verschlossen sein, um wasserdicht zu sein, wenn man z.B. an traditionelle Reet- oder Grasdächer denkt. Dort kann man z.B. ein langes Messer oder gar den ganzen Arm hindurchstecken und wieder herausziehen, ohne dass die Dachhaut danach leck sein wird.
Vor langer Zeit machte der ökologische Fußabdruck eines Teebeutels in den Medien die Runde. Insgesamt müssen Tausende von Kilometern und über zwanzig verschiedene Stationen Orte zurückgelegt werden, bis die Blätter vom Tee-Anbaufeld in die Tasse des Verbrauchers gelangt sind. Die Entsorgung und Wiederverwertung des Abfalls war dabei noch nicht einmal berücksichtigt, was heutzutage wohl zu einer ähnlichen Anzahl an verschiedenen Stationen und Kilometern führen könnte. Der Teebeutel durchläuft Fabriken zur Herstellung von Saatgut, Düngemitteln, Pestiziden, Textilien, Garnen, Metallen, Kartons, Farben und Verpackungen sowie zur Herstellung der Maschinen für all diese Fabriken, was wiederum ein ganzes Rattenrennen von materiellen Abhängigkeiten zur Folge hatte. Dann ging es weiter mit dem Transport durch Schiffe und Lastwagen, die wiederum ihre eigenen Industrien für die Treibstoffversorgung, Herstellung und Instandhaltung, einschließlich der Häfen und Straßennetze, sowie die elektrische Energie für alles zusammen haben. Hinzu kommen Berge von elektronischen Geräten, die diesen offensichtlichen Wahnsinn verwalten und organisieren müssen. Bei der Herstellung von Teetasse und Kanne einschl. elektrischem Wasserkocher, die zum Genuss des Tees in der modernen Lebensweise notwendig sind, wäre der Rattenschwanz der Produktionskette ganz sicher um vielfaches länger.
Ein weiteres Paradebeispiel aus der Arbeit des DUHB ist untenstehend aufgeführt. Es behandelt ein Phänomen, dass früher hauptsächlich einzelnen und herausragenden Persönlichkeiten vorbehalten war, jetzt aber dank besonders der sozialen Medien zu einem Massenphänomen geworden ist, nämlich dem ach-so oft verteufelten Narzissmus. Dazu gibt es eine wenig bekannte Fortsetzung der Sage um den schönen Jüngling aus der griechischen Sagenwelt. Sie wurde aufgespürt von einem der ‘Topagenten’ des DUHB:
Eines Tages kamen die Elfen an das Seeufer, wo einst Narziss vor lauter Erschöpfung gestorben war, weil er sich nicht hatte satt sehen können an seinem wunderschönen Spiegelbild auf der glatten Oberfläche des Sees. Die Elfen wurden nun gewahr, dass der See bitterlich weinte, und offenbar schon sehr lange und sehr viel geweint hatte, denn der See war inzwischen zu einem großen Ozean mit salzigem Wasser geworden, und seine vormals meist ruhige und höchstens mal leicht gekräuselte Oberfläche war nun zu einem aufgewühlten Meer mit hohen Wellenbergen und entsprechend tiefen Tälern geworden.
„Warum weinst Du denn so bitterlich, lieber See?“ fragten die Elfen.
„Weil Narziss gestorben ist“, antwortete der See schluchzend.
„Waaaas?“ riefen die Elfen entsetzt. „Du solltest doch geradezu froh sein, dass dieser eingebildete und rücksichtslose Egozentriker nicht mehr an Deinen Ufern weilt“.
„Ja, ja, ich weiß“, antwortete der See. „Es war nur so, dass sich meine eigene Schönheit in seinen Augen widerspiegelte“.
Die bisherigen Ergebnisse solcher Entschlüsselungen spiegeln sich im Konzept dieses Projekts wider. Diese Arbeitsform des Research and Dissolve ist eine ständig wiederkehrende Aufgabe, solange es noch Phänomene im menschlichen Verhalten gibt, die nicht oder nur unvollständig erklärt sind – also sehr wahrscheinlich für immer;-)