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6. Erkenne Dich selbst – durch die anderen
Jeder Interessent sollte für sich selbst abwägen, oder besser: erspüren (s.o.;-), was auf dem Spiel stehen könnte, d.h. was man verlieren und was dagegen gewinnen könnte. Man sollte sich der Risiken sehr bewusst sein, denn die oben genannten Methoden der Gemeinschaftsbildung sind alles andere als langfristig erprobt. Es sind ganz sicher mehr Gemeinschaftsprojekte gescheitert als geglückt. Euphorische Aufbruchsstimmung allein reicht nicht, was besonders viele Projekte im Kielwasser der Bewegungen aus den Sechzigern und Siebzigern gezeigt haben. Gerade in diesem Bereich sollte man sich unbedingt als Pionier betrachten, der den neuen Kontinent der Gefühlswelt und seine vielfältigen Landschaften erkunden will. Zuallererst in ureigenem Interesse natürlich, aber auch, um damit den Weg für Nachfolgende zu ebnen. Für diesen riesigen Kontinent der menschlichen Gefühlswelt gibt trotz über zwei Jahrhunderten der Erforschung seit dem Zeitalter der Romantik in der Tat nur immer noch wenige verlässliche und kaum wirklich detaillierte Karten, die sich auch im Alltag pragmatisch und verlässlich anwenden lassen. Voll von gefährlichen Fallgruben ist dieser Kontinent. Selbst wer es sich leisten kann, stundenlang auf der Couch eines Therapeuten oder dem Sessel eines Coaches zu weilen, so hält die dort gewonnene Orientierung oft nicht mal bis zur nächsten Weggabelung, wenn überhaupt. Das liegt daran, dass der Ratgebende die Umgebung des Wegsuchenden in Wirklichkeit gar nicht wirklich kennt, bzw. nur aus dessen subjektiven und emotional gefärbten Berichten. Außer diesen teuren Trostpflastern kann man so gut wie niemanden fragen. Wer traut sich schon, die wie verrückt herumhetzenden Leuten zu fragen um das kostbarste, was sie haben: Zeit. Diese Leute müssen schrecklich wichtiges zu tun haben, und das jeden Tag wieder. Und wenn mal nicht, dann sind sie einfach zu müde, um sich wirklich mit Probleme anderer zu beschäftigen. Außerdem könnte bei einem Befragten das schreckliche Gefühl der eigenen Orientierungslosigkeit geweckt werden. In einigen Teilen von Asien wird man tatsächlich und nicht nur sinnbildlich mit der größten Selbstsicherheit die falsche Richtung geschickt, weil es eben viel mehr Gesichtsverlust bedeuten würde, den Weg nicht zu kennen als jemanden in die Irre zu schicken. So geht es wohl auch manchem Therapeuten und Coach. Doch auch in der westlichen Zivilisation wird es von vielen Leuten immer noch als seltsam empfunden, um Rat gefragt zu werden, außer wenn es um Kleinigkeiten geht. Denn wozu zahlt man Steuern und wozu gibt es Seelenklempner, die das verstimmte Gemüt wieder freimachen können wie ein verstopftes Klo. Wenn nötig, auch mit Chemie. Bis zur nächsten Verstopfung eben. Denn das große und immer schlechter funktionierende Abwassersystem mit zunehmenden Gefühlsverstopfungen können auch diese Seelenklempner nicht ändern. Das Schlimmste aber ist, dass sie ihren Kunden vermitteln, dass jeder immer nur für sich selbst verantwortlich ist und sich daher auch selbst kurieren muss – unter zeitweise Zuhilfenahme der kostspieligen Unterstützung des Seelenklempners, versteht sich. Kein Wunder, wenn Leute sich nachher schlecht und unfähig fühlen, und bei der nächsten Verstopfung sich selbst die Schuld (bzw. Scheiße;-) in die Schuhe schieben.
“Wo sind eigentlich alle die anderen?”
Das fragte mal ein afrikanischer Schriftsteller während einer TV-Talkshow in die sichtlich verblüffte Runde von Experten, die sich eifrig über Probleme in heutigen Paarbeziehungen und moderne Therapiemöglichkeiten dazu austauschten. Dort in dem Dorf in Kenia, wo dieser Schriftsteller aufgewachsen war, nahm immer das ganze Dorf an derartigen Problemen teil, ganz einfach, weil man dort davon ausgeht, dass zwei Menschen allein so gut wie gar nichts miteinander herausfinden können. Diesen Gedanken hatte in dieser Runde wohl noch niemand gedacht. Nur ein Kinderpsychiater fühlte sich erinnert an das afrikanische Sprichwort:
“Um ein Kind zu erziehen, braucht man ein ganzes Dorf”.
In der modernen Gesellschaft bereitet es außer den o.g. Fachleuten den meisten Leuten geradezu Angst, zumindest aber Unbehagen, wenn eine gepeinigte Seele um Aufmerksamkeit bittet und nach einem Weg heraus aus der Not fragt. Denn diese Frage erinnert die Leute daran, dass sie selbst meistens nicht wissen, wo sie eigentlich sind, und schon gar nicht, wo sie eigentlich hinwollen.
Es sollte jedem klar sein, dass selbst diejenigen, die Erfahrung mit Gruppentherapie haben, sich mit diesem Projekt auf ein ungekanntes Terrain begeben würden. Hier geht es nicht um gelegentliche Sessions oder um begrenzte Zeiträume wie bei Seminaren oder Workshops, sondern um einen Alltag, in dem es schwierig sein wird, sich aus dem Weg zu gehen. Das mag für viele zunächst furchtbar klaustrophobisch klingen, außer vielleicht für diejenigen, die mal den Alltag auf einem Segelschiff mitten auf dem Ozean erlebt haben, oder den in einem Kloster mitten in der Wüste, in einer eingeschneiten Hütte auf einem hohen Berg oder einem dreckigen Schützengraben während eines Krieges. Dort, wo es nicht nur unmöglich ist, sich auszuweichen, sondern wo man auch auf völlig aufeinander angewiesen ist. Solche Leute wissen in der Regel die wunderbarsten Dinge über solche Zeiten und besonders über ihre Mitmenschen zu erzählen. Sie dürften deshalb weniger angstbesetzt sein bei dem Thema Enge und Nähe. Doch warum sind sie dann eigentlich nicht alle für immer dortgeblieben, auf den Schiffen, in den Klöstern, auf den Bergen oder in den Schützengräben, wenn es denn angeblich so toll war? Nun, so etwas herauszufinden, darum geht es auch bei diesem Projekt. Was ist gut, und was fehlt offenbar in diesen ‘Alltagskonzepten’, um darin zu verbleiben? Die Entschlüsselung solcher auf den ersten Blick vielleicht schnell erklärlichen, aber bei genauerem Hinsehen doch schwer zu verstehenden Phänomenen menschlichen Verhaltens vorzunehmen, ist ein wesentlicher Bestandteil der Forschungsaktivitäten des D-Labs und der untergeordneten Abteilung PDD – dem Phenomenon Decoding Department (vorläufiger Arbeitsname;-).